Die Binnenvertreibung in Palästina


Willkürliche Vertreibungen charakterisieren das Leben der Palästinenser seit 1948.  Vertreibungen, besonders Binnenvertreibungen, dauern in den besetzen Palästinensergebieten an, besonders im Westjordanland inklusive Jerusalem und im Gazastreifen. Laut den Leitlinien zur Binnenvertreibung der UN Menschenrechtskonvention sind willkürliche Vertreibungen illegal, wenn die Umsiedlungen:

  1. auf einer Politik der Apartheid, der „ethnischen Säuberung“ oder ähnlichen Praktiken beruhen, welche auf die Veränderung der ethnischen, religiösen oder rassischen Zusammensetzung der betroffenen Bevölkerung abzielen oder eine solche zur Folge haben;
  2. in Situationen bewaffneter Konflikte, sofern eine Verlegung nicht im Hinblick auf die Sicherheit der betreffenden Zivilpersonen oder aus zwingenden militärischen Gründen geboten ist;
  3. im Zusammenhang mit groß angelegten Entwicklungsprojekten, die nicht durch zwingende und vorrangige öffentliche Interessen gerechtfertigt sind;
  4. im Fall von Katastrophen, sofern nicht die Sicherheit und Gesundheit der Betroffenen ihre Evakuierung erfordert;
  5. als Kollektivstrafe angewendet werden. 1

info
In Palästina wird die willkürliche Vertreibung durch die folgenden politischen Strategien der israelischen Regierung verursacht:

  1. Aneignung von Land und erzwungene Räumungen
  2. Annullierung der Aufenthaltsgenehmigung, besonders in Ostjerusalem
  3. Baubeschränkungen und Zerstörung von Häusern aufgrund fehlender Genehmigungen oder als Strafe
  4. Siedlungsbau und Siedlungsausdehnung
  5. Gewalt durch die Siedler
  6. Militäroperationen und Militärübungen
  7. militärische Sperrgebiete (Pufferzonen) 2

 Willkürliche Vertreibungen sind in den besetzten Palästinensergebieten Alltag. Die andauernde Umsiedlung von Palästinensern wurde vom Internationalen Gerichtshof 2004 in dem Gutachten Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory („Rechtliche Konsequenzen des Baus einer Mauer in den besetzten Palästinensergebieten“) anerkannt:

Eine signifikante Anzahl Palästinenser sind bereits durch den Bau der Mauer und die damit verbundenen Regeln gezwungen worden, bestimmte Gebiete zu verlassen, ein Vorgang, der voranschreiten wird, je weiter die Mauer gebaut wird. Der Bau, gepaart mit der Einrichtung israelischer Siedlungen […] zielt darauf ab die demografische Zusammensetzung [der besetzten Palästinensergebiete] zu verändern. 3

Im Jahr 2013 wurden etwa 43 Prozent des Landes im Westjordanland von etwas über einer halben Million israelischer Siedler kontrolliert. 4 Eine unabhängige UN Mission (UN Fact Finding  Mission) erklärte 2013, dass „das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung, auch das Recht, wie die Selbstbestimmung umgesetzt wird,  das Recht auf eine demografische und territoriale Präsenz [in den besetzten Gebieten] und das Recht auf andauernde Hoheit über Natürliche Ressourcen werden durch Israel und seine andauernde Erweiterung der Siedlungen klar verletzt.5 Zusätzlich zur kriegerischen Besetzung ist die rechtliche Situation im Westjordanland von Kolonialismus und Diskriminierung geprägt. 6

Die acht Jahre andauernde Blockade und drei größere Eskalationen der Kampfhandlungen innerhalb der letzten sechs Jahre haben die Verwundbarkeit der vertriebenen Palästinenser im Gazastreifen erhöht und sich schädlich auf ihre Lebensgrundlage und ihre Bewältigungsstrategien ausgewirkt. Dies wird noch durch die Tatsache verstärkt, dass zwei Drittel der Bevölkerung des Gazastreifens (1,8 Millionen) Flüchtlinge der Vertreibungen von 1948 sind (1,2 Millionen).

 

Die größte Vertreibungsaktion gegen Palästinenser seit 1967  fand während der Militäroffensive 2014 statt, als fast 500 000 Palästinenser zu Binnenflüchtlingen wurden – das entspricht etwa 30 Prozent der Bevölkerung Gazas. 7 Diese neueste Vertreibung kommt zu anderen Kampfhandlungen hinzu und zu der Durchsetzung der „Pufferzone“ durch die Besatzungsmacht, ein Sperrgebiet entlang der Grenze zu Israel.

 

Der Gazastreifen bietet seiner Bevölkerung keine sicheren Fluchtalternativen, da es während Kampfhandlungen nirgends sicher ist. Die fundamentalen Prinzipien Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit und Vorsorge wurden während der Operation Protective Edge von der israelischen Armee wissentlich missachtet, die damit den Tod von mehr als 2200 und Verletzungen bei etwa 11 000 Palästinensern, in der Mehrheit Zivilisten und Flüchtlingen, in Kauf genommen hat. UN Einrichtungen wurden gezielt angegriffen, darunter sechs Schulen der UNRWA, in denen vertriebene Zivilisten Zuflucht gesucht hatten.

 

Palästinenser können sich während der Kampfhandlungen nicht in Sicherheit bringen, da Zugänge geschlossen und die Grenzen abgeriegelt sind. Palästinensische Zivilisten sind buchstäblich in der Falle, sie „sitzen fest“, „sind eingesperrt“, ohne Möglichkeit auf  freie Bewegung und eingeschlossen in Kampfhandlungen, was im Widerspruch zu Internationalem Völkerrecht steht.

 

Die beispiellose Zerstörung von Wohnhäusern (18 000 Gebäude wurden unbewohnbar gemacht) im Krieg 2014 betraf mindestens 100 000 Menschen. 8. Bis April 2016 wurden nur 16 Prozent (3000 Gebäude) wieder aufgebaut oder repariert 9. Viele vertriebene Palästinenser können ihre Häuser nicht wieder aufbauen oder reparieren, da weniger als 1 Prozent des benötigten Baumaterials nach Gaza gelangen konnte. 10. Bis April 2016 waren noch 90 000 Palästinenser Binnenflüchtlinge und sind innerhalb der letzten beiden Jahre mehrmals umgezogen.11 Sie leben unter schlechten Bedingungen in Mietswohnungen, Zelten und Notunterkünften und etwa ein Viertel von ihnen (23 Prozent) leben noch immer in den Trümmern ihres alten Heims.12

Die Palästinenser benötigen mehr internationalen Schutz gegen willkürliche Vertreibungen, ein Recht, das in den Grundsätzen zur Binnenvertreibung der UN festgeschrieben ist und wonach Binnenflüchtlingen eine dauerhafte Lösung, auch das Recht zur Rückkehr in ihre Heimat, zusteht. 13

Palästinensische Flüchtlinge haben das Recht auf eine Rückkehr in ihre Heimat und sollten unter internationalem Schutz stehen. Jedoch bemüht sich keine UN Organisation um eine dauerhafte Lösung der Notlage der palästinensischen Flüchtlinge von 1948.

Tatsächlich ist die Suche nach einer Lösung der palästinensischen Flüchtlingsfrage außerhalb der internationalen Flüchtlingsgesetze angesiedelt und hängt stattdessen an politischen Verhandlungen und dem trügerischen Friedensprozess. Ein Dokument, das von der UNRWA und dem Hohen  Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) gemeinsam erstellt wurde stellt klar: „Die Aufgabe, eine umfassende Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt und die palästinensische Flüchtlingsfrage zu finden, ist jedoch nicht Teil des Mandats der UNRWA sondern die Aufgabe der Konfliktparteien und andere politischer Akteure.“ 14

  1. 1

    Francis Deng, Report of the Representative of the Secretary-General, submitted pursuant to Commission resolution 1997/39, Addendum: Guiding Principles on Internal Displacement,UNHRC, E/CN.4/1998/53/Add.2 (1998) at Principle 6  

  2. 2

    UNOCHA, Forced Displacement, Fragmented Lives: Humanitarian Overview 2015, June 2016. Abrufbar unter: (link); Nur Masalha, A Land Without a People, Israel, Transfer and the Palestinians 1949-96 (London: Faber and Faber, 1997) at 91, 93; David Kretzmer, The Occupation of Justice, The Supreme Court of Israel and the Occupied Territories (New York: State University of New York Press, 2002) at 75-76, 90; Siehe beispielsweise: UNOCHA, “Lack of Permit” Demolitions and Resultant Displacement in Area C, UNOCHA Special Focus OPT (May 2008), Online: Ochaopt; Jeff Halper, Obstacles to Peace, A Re-Framing of the Palestinian-Israeli Conflict, Israeli Committee Against House Demolition, 2nd ed (Jerusalem: Al Manar Printing Press, 2004) at 30; UNOCHA, The Humanitarian Impact of Israeli Settlement Policies, Update, UNOCHA OPT (December 2012), Online: (link) ; IDMC, OPT: Gaza Offensive Adds to Scale of Displacement, Internal Displacement Monitoring Centre and Norwegian Refugee Council (2009) at 1, 5-6, Online: (link)    

  3. 3

    Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, [2004] ICJ Rep 136 at para 133.   

  4. 4

    Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, [2004] ICJ Rep 136 at para 133.    

  5. 5

    [Hervorhebungen hinzugefügt] Report of the independent international fact-finding mission to investigate the implications of the Israeli settlements on the civil, political, economic, social and cultural rights of the Palestinian people throughout the Occupied Palestinian Territory, including East Jerusalem, UNGAOR, UN Doc A/HRC/22/63 (2013) at para 38.   

  6. 6

    See Orna Ben-Naftali, Aeyal M Gross & Keren Michaeli, “Illegal Occupation: Framing the Occupied Palestinian Territory” (2005) 23 Berkeley Journal of International Law 551 at 580; John Dugard & John Reynolds, “Apartheid, International Law, and the Occupied Palestinian Territory” (2013) 24:3 European Journal of International Law867 at 909-910.   

  7. 7

    Report of the Secretary-General, Peaceful Settlement of the Question of Palestine, UNGA/UNSC, 69th Sess, UN Doc S/2014/650 (2014) at para 21.   

  8. 8

    The Gaza Strip: Internal Displacement in the Context of the 2014 Hostilities, UNOCHA, July 2015. Abrufbar unter:(link) ; Report of the Secretary-General, Peaceful Settlement of the Question of Palestine, UNGA/UNSC, 69th Sess, UN Doc S/2014/650 (2014) at para 21.  

  9. 9

    The Gaza Strip: Internal Displacement in the Context of the 2014 Hostilities, UNOCHA, July 2015. Abrufbar unter:(link) ; Report of the Secretary-General, Peaceful Settlement of the Question of Palestine, UNGA/UNSC, 69th Sess, UN Doc S/2014/650 (2014) at para 21.  

  10. 10

    The Gaza Strip: Internal Displacement in the Context of the 2014 Hostilities, UNOCHA, July 2015. Abrufbar unter:(link) ; Report of the Secretary-General, Peaceful Settlement of the Question of Palestine, UNGA/UNSC, 69th Sess, UN Doc S/2014/650 (2014) at para 21.  

  11. 11

    The Gaza Strip: Internal Displacement in the Context of the 2014 Hostilities, UNOCHA, July 2015. Abrufbar unter:(link) ; Report of the Secretary-General, Peaceful Settlement of the Question of Palestine, UNGA/UNSC, 69th Sess, UN Doc S/2014/650 (2014) at para 21.  

  12. 12

    The Gaza Strip: Internal Displacement in the Context of the 2014 Hostilities, UNOCHA, July 2015. Abrufbar unter:(link) ; Report of the Secretary-General, Peaceful Settlement of the Question of Palestine, UNGA/UNSC, 69th Sess, UN Doc S/2014/650 (2014) at para 21.  

  13. 13

    The Gaza Strip: Internal Displacement in the Context of the 2014 Hostilities, UNOCHA, July 2015. Abrufbar unter:(link) ; Report of the Secretary-General, Peaceful Settlement of the Question of Palestine, UNGA/UNSC, 69th Sess, UN Doc S/2014/650 (2014) at para 21.  

  14. 14

    UNRWA & UNHCR, The United Nations and Palestinian Refugees (Amman & Geneva: UNRWA & UNHCR, 2007) at 5.